Rede an die Kantonsschülerinnen und -schüler der 4. Kl. zum Thema Generationenvertrag

11. Oktober 2013

„Generationenvertrag – Alt und Jung gemeinsam“

Um es gleich vorweg zu nehmen, es geht hier keinesfalls um den Deckungsgrad von Pensionskassen oder um das Defizit von staatlichen Institutionen für die Altersvorsorge oder gar um Lohnverhandlungen für Gesamtarbeitsverträge – vielmehr will ich einige Überlegungen und Gedanken anstellen zur grundsätzlich freiwilligen – jedoch in jeder zivilisierten Gesellschaft gesetzlich organisierten und demnach „erzwungenen“ – Solidarität zwischen den verschiedenen Gruppierungen einer nationalen Bevölkerung. Dabei lässt sich dieses Grundkollektiv – in Abhängigkeit von der Fragestellung – nach sehr unterschiedlichen Kriterien gruppieren, so etwa nach Einkommenskategorien, nach dem Geschlecht, nach dem Alter oder nach weiteren vorwiegend sozialen Kriterien. Bei der Idee der Solidarität zwischen den einzelnen Gruppierungen geht es in erster Linie um das Gefühl der Verbundenheit, das Prinzip der gegen- seitigen Unterstützung, um den Einsatz für gemeinsame Werte oder auch um die gemeinsame Bekämpfung von unerwünschten Einflüssen bis hin zur militärischen Abwehr im Falle eines Angriffs. Bei allen Überlegungen zum Faktum der Solidarität stellt sich die grundsätzliche Frage: Was ist freiwillig, wann hört die reine Freiwilligkeit auf, ab wann wird eine Solidarität politisch gefordert, ab wann kann diese Solidarität per Gesetz dem Volk verordnet werden?

Konkret will ich mich nun der Solidarität von Alt und Jung innerhalb unserer Bevölkerung zuwenden. Selbstverständlich sind die dabei auftretenden Fragen und Probleme keineswegs eine Angelegenheit, die etwa nur unser Land angeht. Da die demographischen Entwicklungen innerhalb aller modernen Industrienationen wohl in die gleiche Richtung weisen, handelt es sich hier um ein Faktum von „halbglobalen“ Ausmassen. Halbglobal deshalb, weil in der industrialisierten nördlichen Halbkugel dieser Welt eine unentwegt steigende Zahl von Alten einer abnehmenden Zahl von Jungen gegenübersteht – während in den sog. Entwicklungsländern der südlichen Halbkugel ein steigender Anteil von jungen Leuten nach einem besseren Leben verlangt. Dies mag Ihnen wahrscheinlich als eine oberflächliche Verallgemeinerung und Vereinfachung der weltweiten Problematik vorkommen, entspricht aber doch der grundsätzlichen internationalen Lage. Im Rahmen dieses kurzen Referates will ich mich auf das Faktum der Wahrung des Lebensstandards für Alt und Jung in den industrialisierten Bevölkerungen der nördlichen Halbkugel konzentrieren. Rein aus Zeitgründen, nicht etwa im Sinne einer Wertigkeit, blende ich hier die Probleme der Südhalbkugel aus.

Hört oder liest man den Begriff „Solidarität zwischen Jung und Alt“, so denkt vermutlich jede Person primär ans Geld, an die hohen Kosten, welche durch die Hochbetagten, die Pflegebedürftigen und die Randständigen der Gesellschaft entstehen – und die irgendwie bezahlt werden müssen. Nebst den Kosten gibt es aber auch weitere Punkte, welche betrachtet werden müssen. So z.B. das Grosskinderhüten, damit die Eltern einer Teilzeiterwerbsarbeit nachgehen können und dies nicht nur immer wegen dem Verdienst, sondern auch um die gute Ausbildung in der Praxis anwenden zu können. Eine weitere Solidarität ergibt sich, wenn die Kinder ihre alternden Eltern begleiten und betreuen (oft in Kombination mit professionellen Institutionen) damit ein Heimeintritt verzögert werden kann. Es muss betont werden, dass die Kosten, welche für die Hochbetagten und Pflegebedürftigen sowie Randständigen bezahlt werden müssen, nicht nur im Sinne der Solidarität (z.B. über die AHV, die ALV oder die Krankenkassenprämien) mittels riesigen Geldverschiebungen (das sog. Umlagerungsprinzip) zwischen den jetzt lebenden Generationen bezahlt werden (1. Säule). Auch die jetzt lebenden kostenintensiven Hochbetagten und Pflegebedürftigen leisten einen erheblichen Anteil an diese Kosten über das Kapitaldeckungsprinzip, d.h. mit Geldern, die sie selbst im Laufe ihres Lebens angespart und erzwungenermassen angehäuft haben (2. und 3. Säule). Und schliesslich wie mancher Hochbetagten und Pflegebedürftige musste sein einstmals so geliebtes Eigenheim zwangsweise versilbern, um auf diese Weise einen weiteren Beitrag an die Kosten der Heime abzuliefern. Doch das Beste und Aktuellste kommt jetzt: Bekanntlich werden immer mehr kostenintensive „Back-Office-Bereiche“ von Grossunternehmungen, wie beispielswiese die gesamte EDV, in kostengünstige Drittweltländer ausgelagert. Ausgehend von dieser Idee kam ein findiger Manager auf den Gedanken, man könnte eigentlich auch gesellschaftliche „Back-Bereiche“, die hohe Kosten verursachen, wie eben die Dementen und die Pflegebedürftigen, in kostengünstigere Regionen auslagern. Ganz konkret heisst dies, dass neuestens Demente und Pflegebedürftige möglicherweise zuerst liebevoll, aber anschliessend doch äusserst intensiv dazu überredet werden, die Schweiz zu verlassen und fortan in fernen südostasiatischen Ländern ihr Dasein abzuschliessen (sozusagen die 4. Säule). Je nach persönlicher Einstellung kann man dies als eine Glanzidee, als eine Unverschämtheit oder als eine Horrorvorstellung betrachten – Tatsache ist jedenfalls, dass es sich bei dieser Entwicklung um das integrale Gegenteil dessen handelt, was man als Solidarität zwischen den Generationen bislang betrachtet hat. Und wenn das Grosi oder der Äti sich in fernen Ländern aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zu Hause fühlt, höchstens vielleicht noch einmal im Jahr seine Angehörigen sehen kann, kulturell völlig entwurzelt ist – wen kümmerts? Hauptsache, dem heiligen Prinzip der Rationalisierung und der Kostensenkung kann nachgelebt werden – ob EDV oder Pflegefall – das ist völlig einerlei. Bleibt nur zu hoffen, dass die hier skizzierte Vision in der Realität versagt und diese Form einer „völkerverbindenden“ Solidarität aller Kostenersparnis zum Trotz keine (grosse) Anhängerschaft finden wird. Neben diesen allein vom Gelddenken geprägten Makroüberlegungen gibt es natürlich noch die von echter Menschlichkeit geprägte Mikrosphäre der Solidarität zwischen Jung und Alt – gemeint sind all die Fälle, wo Hochbetagte und Pflegebedürftige innerhalb der eigenen Familie ihre letzten Jahre verbringen können, mit Liebe und Verständnis von den Angehörigen gepflegt. Das ist meines Erachtens eine grossartige Form von echter Solidarität zwischen den Generationen, welcher vonseiten der Gesellschaft viel mehr Beachtung geschenkt werden muss.

Ein Generationenvertrag zwischen Jung und Alt – dieser existiert im rein juristischen Sinne wohl nicht. Letztlich ist es ein moralisches Faktum, in welcher Form und inwieweit sich die Generationen zu gegenseitiger Hilfe verpflichtet fühlen und wie sie dies auf gesetzlichem Wege organisieren wollen. Auch wenn – wie geschildert – es zu Auswüchsen kommen kann, so muss doch der heutigen Zeit zugutegehalten werden, dass man sich bemüht, den Hochbetagten und Pflegebedürftigen auf irgendeine Weise zu helfen und ihnen eine einigermassen menschenwürdige Existenz zu ermöglichen. Dass die Probleme aufgrund der demographischen Situation in Zukunft wohl eher zunehmen werden, wird die Solidarität vermutlich auf eine rechte harte Probe stellen – dessen ungeachtet kann und darf es keinen wesentlichen Schritt zurückgeben. Denn wir alle werden früher oder später alt, möglicherweise zu Pflegefällen – und werden dann heilfroh sein, wenn es uns auch in dieser Situation noch einigermassen gut geht.